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Follower im Konzert

Social Media Likes in Herzform vor blauem Hintergrund

Ich würde jedem Musiker raten, sich mit Social Media auseinanderzusetzen. Man muss nicht die ganz großen Follower-Zahlen generieren, aber wer sich nicht auf Social Media zeigt, findet einfach nicht statt. Wo sollen sich die Fans sammeln, wie am künstlerischen Leben teilhaben? Mit einem Artikel im Jahr in der Regionalzeitung? Die Klassikpresse hat sich im vergangenen Jahrzehnt kontinuierlich abgebaut. Auch ein Fernsehbericht ist in der Fülle der Daten, die wir täglich konsumieren, nach drei Tagen vergessen. Fans wollen auch ihre Begeisterung ausdrücken – zum Beispiel mit Likes, Kommentaren und dem Teilen von Videos. Das ist mit keinem anderen Medium möglich.

Neue Veröffentlichungen kann man via Social Media viel besser kommunizieren und letztlich höhere Umsätze und Streamingzahlen erreichen. Wem will ich sonst von meiner neuen CD erzählen? Eine gute Homepage ist natürlich genauso wichtig, gerade um Konzerte zu akquirieren. Sie ist aber nicht ausreichend, um eine Fan-Community aufzubauen und zu halten.

Wir als „The Twiolins“ nutzen Social Media, um Bekanntheit zu erlangen (oder, wie man heutzutage sagt: Reichweite zu generieren). Das funktioniert auch sehr gut – es gibt eindeutige Kennzahlen, an denen wir das bemerkt haben: Noch lange vor Facebook ging YouTube durch die Decke. Als wir dort ca. 3.000 Follower erreicht hatten, haben wir diese auch als Zuschauer:innen in unseren Konzerten bemerkt. Dazu muss man wissen, dass wir auf YouTube nicht nur reinen Twiolins-Content anbieten, sondern Konzerte professionell aufgenommen haben, die jedes Geige lernende Kind auf der Welt im Unterricht lernt. Das erklärt auch die hohe Reichweite der Videos. Diese Zielgruppe interessierte sich zu Anfang nicht für uns als „The Twiolins“ – aber ab dem Schwellenwert 3.000 änderte sich das.

 

Als Musiker:in Facebook, YouTube & TikTok erfolgreich nutzen

Bei Facebook kam die Viralität sehr plötzlich. Dort dümpelten die Zahlen lange bei 2.000 bis 3.000 Followern herum, um dann sprunghaft auf 7.000, dann 10.000 und 15.000 anzusteigen. Jetzt ist ein Wachstum von ca. 1.000 Followern pro Monat fast normal. Wir teilen dort ein Video pro Woche mit unserer Musik. Das generiert Follower auf der ganzen Welt, auch in den USA, Kolumbien, Asien oder Afrika. Wir teilen außerdem unsere Konzerttermine, auch wenn diese nur die Fans aus Deutschland erreicht. Auch hier bemerken wir Follower im echten Leben: Unsere Konzerte sind viel besser besucht, oft ausverkauft. Das macht sich auch im Verkauf von Merch-Produkten bemerkbar. Wir werben natürlich für unsere CDs, Bücher und Noten, die wir im Laufe der Jahre entwickelt haben.

Manchmal nutzen wir die Plattformen auch für Feedback. Wenn es konstruktive Kritik ist, nehmen wir diese an. Bei Themen, wo wir unsicher sind, machen wir hier und da eine Umfrage – z. B. darüber, in welcher Form ein Produkt angeboten werden soll, oder um zu erfahren, welche Streaming-Plattform unsere Fans am meisten nutzen. So kann man die Gewohnheiten der Fans gut kennenlernen.

 

Facebook als wichtigster Kanal

Unser wichtigster Kanal ist auf jeden Fall Facebook geworden. Hier haben wir inzwischen 23.000 Fans, die Zahl steigt stetig. Danach kommt YouTube, wo wir über 10.000 Fans haben, mit einem kontinuierlichen Zuwachs von 150 Fans pro Monat, obwohl wir dort gerade selten aktiv sind. TikTok hat eine schöne Reichweite und generiert viele neue Fans, auch wenn wir dort zu wenig aktiv sind, um das wirklich ausbauen zu können. Es „läuft halt mit“ und das erfolgreicher als z. B. Instagram. TikTok ist wunderbar klassiktauglich, wenn man schöne, kurze Videos macht. Gerade die Mischung auf TikTok macht die Klassik sehr ansprechend für die Nutzer. Zwischen Beauty- oder Sport-Tipps, etwas Comedy etc. wird ein kurzer Clip, der mit einem virtuosen Stück oder einer emotionalen Melodie punktet, sehr gerne angenommen.

Ich poste nur einmal pro Woche ein Video auf TikTok, da ich wegen des Arbeitsaufwands nicht mehr schaffe. Um dort erfolgreich zu sein, müsste ich zwei bis drei Videos pro Woche veröffentlichen, das ist bei unserer aktuellen Konzerttätigkeit nicht möglich. Aber ich lasse den Kanal trotzdem mitlaufen, da ich schon mühelos 700 Follower gesammelt habe und ich so die Plattform kennenlerne. 

 

Frühstart ins Internet

Im Grunde bin ich als Teenager mit dem Internet gestartet. Als ich ca. 14 war, entstand das Internet für zuhause und ich habe die damaligen Chatrooms und meine erste E-Mail-Adresse schon rege benutzt. Mit 15 hatten wir unsere erste Homepage. Bald kam StudiVz und richtig aktiv waren wir als Duo dann auf MySpace. Ich erinnere mich noch daran, wie ich eine halbe Nacht lang unsere Werbung auf Pinnwände gepostet habe mit Copy & Paste, um Reichweite zu generieren. Das hat natürlich nicht viel genützt auf dieser Plattform, aber mit Zielgruppenansprache kannte ich mich damals noch nicht aus.

Dann kam Facebook, auf dem wir seit Januar 2011 unsere Fanpage haben, und dann YouTube, bei dem wir im Mai desselben Jahres unseren Kanal gestartet haben. Später kam noch Instagram dazu, seit Corona dann TikTok. Nur von Twitter haben wir uns gerade abgemeldet.

Ich habe die Entwicklung der Plattformen also von Anfang an miterlebt und war immer begeistert von den Möglichkeiten. Vielleicht, weil ich in einem kleinen Dorf aufgewachsen bin und mich oft isoliert gefühlt habe. Das Internet zeigte mir eine Möglichkeit auf, mit Gleichgesinnten in Kontakt zu treten.

 

Social Media nach Wochenplan

Um unsere Inhalte für Social Media aufzubereiten, verwende ich pro Woche ca. zwei Stunden – ohne das Erstellen der Video-Aufnahmen gerechnet (diese können ja z. B. bei einem Konzert erstellt werden). Ich poste dienstags immer Werbung für Konzerttermine, Bücher, Noten etc., d. h. ein Bild und etwas Text. Donnerstags kommt immer ein Video. Das kostet am meisten Zeit, auch wenn die Videos schon fertig sind. Ich muss aussuchen, welchen Ausschnitt ich diese Woche zeige – zweiminütige Videos funktionieren am besten – oder welchen Text ich dazu schreibe, damit das Video auch angeklickt wird. Das Umwandeln vom Querformat in Hochformat kostet immer Zeit und letztlich das Hochladen auf den verschiedenen Plattformen.

Samstags posten wir dann noch einmal ein Foto mit einem schönen Zitat. Gottseidank kann man inzwischen alles vorprogrammieren, sodass ich nicht immer „am Drücker“ sitzen muss. Ich programmiere alles am Anfang der Woche ein und kann mich den Rest der Woche um Proben und Konzerte kümmern.

Ich fühle mich auf Social Media immer wohl, da ich für mich als Konsumentin meinen Algorithmus gut „erzogen“ habe. Das heißt, ich habe alles, was mich stört oder nervt, regelmäßig blockiert und interessante Inhalte mit Likes und Kommentaren „belohnt“. So habe ich als Konsumentin beim Reinschauen eine schöne Mischung aus Themen und Menschen, die mich interessieren.

Was meine Fans neben unseren Inhalten sehen, kann ich nicht kontrollieren. Es liegt an jedem selbst, wie er diese Plattformen nutzt. Die Plattformen sind so designt, dass sie uns gefallen wollen: Wir müssen unsere Vorlieben nur entsprechend kommunizieren, dann wird Passendes geliefert. Ein einfaches „Like“ reicht schon aus, um diesen Mechanismus in Gang zu setzen. Viele Leute beschweren sich über Werbung, aber diese kann man komplett ausschalten, wenn man möchte. Oder auf sich „einnorden“, sodass einem Dinge angezeigt werden, die zu einem passen könnten. Werbung im linearen Fernsehen nervt mich viel mehr.

 

Streaming vs. Livekonzert

In der Zeit der Corona-Pandemie bekam Social Media eine besondere Bedeutung. Gerade zu Anfang der Pandemie wurden wir Musiker:innen erst einmal allein gelassen und unsere Fans waren die einzigen, mit denen wir unser Gefühlschaos teilen konnten und die uns auch unterstützt haben. Während des Lockdowns war die Aufmerksamkeit natürlich auch viel höher und man konnte hier gut mit Streaming-Konzerten arbeiten. Ohne eine zuvor aufgebaute Fanbase wäre das nicht möglich gewesen.

Ich denke aber, der wichtigste Unterschied zum Streaming ist die Faszination des analogen Konzerts. Kein Video der Welt erreicht eine so tiefe Bindung zwischen Musiker:innen und Zuhörer:innen wie ein Liveauftritt. Und das ist das Schönste an unserem Beruf.

 


 

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Zeitschrift das Orchester

das Orchester

Ausgabe 2024/06

Die Nutzung von Social Media ist aus dem Kommunikationsgeschäft von Orchestern, anderen Kulturinstitutionen, aber auch einzelnen Künstlerinnen und Künstlern nicht mehr wegzudenken. Die Plattformen, die Arten der Inhalte, die Relevanz von Werbeeinnahmen, die Nutzergruppen und deren Vorlieben befinden sich in ständiger Bewegung. Marie-Luise Dingler vom Violin-Duo „The Twiolins“ beschreibt aus ihrer Sicht die Relevanz und die Nutzung von Social Media. Die Gegenthese vertritt Björn Johannsen in seinem Beitrag: Hände weg von sozialen Medien, auch und gerade für Orchester. Zu groß sind aus seiner Sicht die Risiken und Nebenwirkungen. Die Debatte ist eröffnet…

 

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