Mit seinen Operneinaktern
Mörder, Hoffnung der Frauen, Das Nusch–Nuschi und
Sancta Susanna stellte Paul Hindemith in den frühen 20er Jahren dem Publikum skandalträchtige Experimente auf die Bühne. Das Grafenegg Festival zeigt am 8. Juli 2018 zwei dieser Opern. Die musikalische Leitung bei den beiden Halbstündern
Mörder, Hoffnung der Frauen und
Sancta Susanna hat Dirigent Leon Botstein. Werner Hanakl ist sowohl für die Inszenierung als auch für Kostüme und Bühnenbild verantwortlich.
Die Uraufführung von Hindemiths allererstem Bühnenwerk
Mörder, Hoffnung der Frauen, zusammen mit
Das Nusch–Nuschi, am 4. Juni 1921 an der Oper in Stuttgart erregte die Gemüter: Es wurde von großem Unverständnis, Irritation und Protest ebenso berichtet wie von Begeisterung und überschwänglichem Lob. Das expressionistische Libretto von Oskar Kokoschka nach seinem eigenen Drama von 1907 ist voll von Darstellungen wilder Sexualtriebe und eines erbitterten Geschlechterkampfes zwischen Frauen und Männern. Nur neun Monate später ging Hindemith mit
Sancta Susanna noch einen Schritt weiter, indem er darin das sinnliche Bedürfnis und den religiösen Gehorsam der Nonne Susanna provokant vereint.
Paul Hindemith – Mörder, Hoffnung der Frauen: Kampf der Geschlechter
Die Handlung der Oper
Mörder, Hoffnung der Frauen ist ort- und zeitlos. Eine Schar Krieger stürmt widerwillig, aber befehlstreu eine Festung der Frauen. Auch der Anführer der Männer ringt mit der Anführerin der Frauen und wird dabei schwer verletzt und gefangen genommen, während sich seine Krieger mit den anderen Frauen vergnügen. Die Anführerin ist von wilder Lust erfüllt und nähert sich dem Gefangenen, doch ihre Berührung lässt den Mann erstarken, bis er sie schließlich besiegt und sich befreit. Mit einer Berührung tötet der Anführer seine Widersacherin, aber auch alle anderen werden von ihm "wie Mücken" erschlagen.
Der expressionistische Gestus des Werks muss das Publikum seinerzeit mit einer ebensolchen Wucht getroffen haben wie das provokante Sujet Kokoschkas. Logische Handlungen fehlen in den Szenen des Einakters, die Auseinandersetzungen erscheinen konfus. Keine der Personen trägt einen Namen, jegliche Form von Identifizierung wird vermieden. Das Werk zeigt gestenreiche Aktionen und schematisierte Gestaltungsabläufe anstelle eines sprachlichen Diskurses. Den Konflikt überformt Hindemith zudem mithilfe des musikalischen Konflikts des Sonatensatzes und greift auf verschiedenste Ausdrucksformen der musikalischen Tradition zurück. Fast 100 Jahre später wirkt diese Arbeitsweise beinahe wie aus der postmodernen Gegenwart gegriffen. Und so tut sich ein Rezensent der Uraufführung mit Begriffen wie "ultramodern", "im allermodernsten Sinne", "neu, zeitgemäß" erkennbar schwer in der stilistischen Einordnung von
Mörder, Hoffnung der Frauen:
Zu den Verfechtern ultramoderner Anschauungen gehört auch Paul Hindemith, ein noch junger Frankfurter Musiker, der als tüchtiger Geiger seine künstlerische Laufbahn begonnen, in den letzten Jahren jedoch sich mehr und mehr der Komposition zugewandt hat und auf einige bemerkenswerte Erfolge zurückblicken kann. Auch als Opernkomponist hat er sich vorgenommen, ganze Arbeit im allermodernsten Sinne zu tun und ohne Zugeständnisse an Tradition und Publikum seine Vorstellung des neuen, zeitgemäßen Musikdramas zu verwirklichen. – Dr. Hugo Leichtentritt (Kritik der Uraufführung in "Die deutsche Opernbühne", Frühjahr 1921)
Zwei Stücke von Paul Hindemith hat auch das Bundesjugendorchester auf seiner Sommer-Tournee durch Deutschland, Südtirol und Rumänien im Gepäck: Vom 20. Juli bis zum 4. August ist es mit der Symphonie "Mathis der Maler" und den Symphonischen Metamorphosen in Dortmund, Toblach, Bozen, Dresden, Bukarest, Sinaia und Berlin zu Gast.
Foto: © Theater Bonn / Thilo Beu